Was bedeutet es für agiles Arbeiten, wenn jetzt fast alle im Home Office sitzen?
Mark Bregenzer: Natürlich ist in einer agilen Welt die direkte Kollaboration und Co-Location am besten. Also Teams, die an einem Tisch zusammensitzen, die sich regelmäßig und ad hoc persönlich austauschen können. Damit wenig Wartezeit entsteht und Probleme schnellstmöglich gelöst werden. Die aktuelle Situation ist daher eine echte Herausforderung - für Unternehmen, Agenturen und Agile Coaches wie uns gleichermaßen. Jetzt zeigt sich, für welche Unternehmen ’’agil’’ nicht nur ein Buzzword ist, denn diese haben es im Moment deutlich leichter.
Inwiefern?
Mark Bregenzer: Unternehmen, die schon länger in Selbstorganisation investiert haben, kommen mit der neuen Situation deutlich besser zurecht. Dort hat das Management bereits gelernt, den Teams mehr Verantwortung zu übertragen und den Mitarbeitenden mehr zu vertrauen. Dieses Vertrauen zahlt sich jetzt aus. Führungskräfte müssen gerade viel Kontrolle aus der Hand geben, weil die Teams verteilt und virtuell miteinander arbeiten. Das fällt vielen nicht leicht. Agilität heißt ja vor allem, flexibel auf neue Rahmenbedingungen zu reagieren und aktiv nach Lösungen zu suchen. Wo das in einer Organisation bereits angekommen ist, wird es weniger Probleme mit der Krise geben.
Funktioniert agiles Arbeiten denn überhaupt virtuell?
Mark Bregenzer: Auf jeden Fall. Allerdings braucht es natürlich zum einen Zeit, um die neuen Abläufe zu etablieren. Zum anderen erfordert es auch zusätzliche Investitionen in die IT und Konzept-Schulungen, denn agiles Arbeiten geht deutlich über reine Videocalls hinaus. Für die Standard Scrum-Meetings reichen oft ein Videocall und ein geteilter Bildschirm aus. Aber im skalierten Kontext mit vielen Teams ist das zu wenig. In großen Produktentwicklungen wie in LeSS (Large Scale Scrum) machen wir zum Beispiel das Product Backlog Refinement – also das Verstehen der Kundenanforderungen und die Definition der dazugehörenden Akzeptanzkriterien – mit bis zu acht Teams parallel. Das müssen wir jetzt online abbilden. Eine reine Video-Konferenz reicht da nicht aus. Virtuelle Kollaborationsräume, in denen gemeinschaftlich an der Erstellung von Arbeitsergebnissen, wie Dokumenten, Designs oder Code gearbeitet werden kann, sind essentiell. Teilnehmende müssen einfach zwischen diesen Kollaborationsräumen hin und her springen können, dann ist agiles Arbeiten auch virtuell möglich. Dies gilt ebenso für Architektur, Design oder andere Workshops in der Produktentwicklung, bei denen viele Mitarbeitende mitwirken müssen.